Der Tod wirft lange Schatten by Veit Heinichen

Der Tod wirft lange Schatten by Veit Heinichen

Autor:Veit Heinichen [Heinichen, Veit]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2013-02-09T05:00:00+00:00


Erinnerungen

Die Müdigkeit war wie eine lange vergessene Erinnerung. Galvano war guter Laune, was für den Rest der Welt nichts Gutes verhieß. Er knipste die Schreibtischlampe erst aus, als der Lärm des Müllfahrzeugs ihn im Morgengrauen daran erinnerte, daß er sich ein paar Stunden Ruhe gönnen sollte. Die Ereignisse jener Zeit waren plötzlich so präsent und klar, daß er kaum mit dem Schreiben nachkam. Wie wild hatte er über Stunden auf die alte Reiseschreibmaschine eingehackt, durch das offene Fenster hörte man das Klappern bis auf die Straße hinunter. Er zündete sich noch eine seiner Menthol-Zigaretten an, bevor er zu Bett ging, und dachte daran, wie das Glück ihm zugespielt hatte. Leise lachte er in sich hinein.

Als er am Nachmittag das Lokal verlassen hatte, war es ihm gelungen, Laurenti eins auszuwischen. Er war mit sich zufrieden, als er die Verlegenheit des Kommissars in dessen Gesicht geschrieben sah. Was kümmerte der Kerl sich immer noch darum, wie andere von ihm dachten? In seinem Alter? Laurenti sollte endlich erwachsen werden. Und er sollte endlich damit aufhören, ihn über Dinge auszufragen, die er mit ein bißchen Mühe selbst herausbekommen könnte. Das war schließlich sein Job. Außerdem war Galvano selbst viel zu beschäftigt. Die ständigen Interviews zum einen, zum anderen das Buch, an dem er seit geraumer Zeit heimlich schrieb, machten schon genug Arbeit. Seine Memoiren. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß es ein Bestseller werden würde. Wer hatte die letzten sechzig Jahre schon durch die Augen eines Gerichtsmediziners gesehen?

Er hatte nicht damit gerechnet, daß die junge Frau mit dem rosaroten Rucksack im Schatten eines Ladeneingangs gegenüber von »Da Giovanni« stand und zu ihm herübersah, als hätte sie auf ihn gewartet. Er winkte ihr zu, doch sie schaute sich lediglich nervös um. Als er an Sant’Antonio vorbei Richtung Piazza Ponterosso ging, folgte sie ihm. Galvano wollte nach Hause und nach einem Mittagsschlaf, der wegen des Essens mit Laurenti ohnehin kürzer als sonst ausfallen würde, die Arbeit am Schreibtisch wieder aufnehmen. Er hatte gerade das Kapitel begonnen, in dem er vom Risiera-Prozeß gegen Oberhauser erzählen wollte, der zu jener Zeit in München unbehelligt ein Bierlokal betrieb. Es war im Jahr 1976, und man verhandelte in Abwesenheit gegen den Schlächter. Galvano hatte man als Zeugen gehört. In den Jahren nach dem Krieg, als Triest unter alliierter Verwaltung stand, war es ihm zugefallen, die Gutachten für die Überlebenden des KZs zu verfassen, obwohl er noch über wenig medizinische Erfahrung verfügte.

Am Canal Grande hatte Irina ihn schließlich eingeholt und schüchtern am Ärmel gezogen. Galvano blieb verblüfft stehen. Er hatte ihr in den letzten Tagen ungewöhnlich viel Geld gegeben. Was wollte sie jetzt schon wieder? Seine Versuche, mit ihr zu kommunizieren, waren doch ohnehin vergebens. Er verstand die Zeichen nicht. Die junge Frau machte einen geradezu panischen Eindruck. Hastig zog sie eine Mappe aus ihrem Rucksack und deutete darauf, gab sie allerdings nicht aus der Hand. Hatte er richtig verstanden, daß sie Geld wollte? Schon wieder? Wollte sie die Mappe verkaufen? Galvano zuckte die Achseln und versuchte, einen Blick darauf zu werfen.



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